Cologne,
01
April
2023
|
13:35
Europe/Amsterdam

Neue Dimensionen – Design für die Stadt der Zukunft

polisMobility im Gespräch mit Dieter Brell, Creative Head bei 3deluxe

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COLOGNE. GERMANY – Redaktionsleiterin Csilla Letay über die globalen Herausforderungen der Städte – erschienen im Magazin polisMOBILITY Data – Digitalisierung für die Mobilität von Morgen, Ausgabe April 2023
 

Alle Herausforderungen, 
die sich derzeit global auftürmen, 
schlagen sich in den Städten nieder.

polisMOBILITY: Herr Brell, an den heutigen Herausforderungen im Bereich der Stadtentwicklung wird deutlich, dass wir ganzheitlich, inter- und transdisziplinär denken und agieren müssen. 3deluxe hat sich 1992 als interdisziplinäres Designbüro gegründet und war damit seiner Zeit voraus – was kann man sich unter dieser Beschreibung vorstellen? 

 

Dieter Brell: Die erste Gruppe bestand aus Innenarchitekt:innen und Grafik- bzw. Kommunikationsdesigner:innen. Uns hat immer interessiert: Was ist modern und wie sieht die Zukunft aus? Was ist cool? Was machen gerade die Kunst, die Mode, die Musik? Als wir unser Büro gründeten, hatte die Popkultur beispielsweise noch eine größere Bedeutung und einen größeren Input für die Gesellschaft als heute. So stellte sich der Anfang dar. Als wir später das Feld der Architektur hinzugezogen haben, haben wir gemerkt, dass ein Grafikdesigner durchaus auch die Fassade eines Gebäudes denken kann. Schließlich ist diese auch ein Bild für die Menschen, die durch die Stadt flanieren. Aufgrund unserer Herkunft ist uns die Wirkung von  Sachen sehr wichtig. Dem klassischen Architekten geht es primär darum, dass etwas funktionieren und halten muss. Für uns war es ein wichtiger Punkt, welche Bilder Gebäude ausstrahlen: Was repräsentiert ein Gebäude – den Eigentümer, die Firma darin, oder hat es eine Bedeutung für die Umgebung, für die Stadt? In dem Bereich, aus dem wir kamen, hat Ästhetik eine große Rolle gespielt, auch das Wort „Schönheit“. Wir wissen natürlich mittlerweile, wie viele Zwänge es beim Bauen gibt. Dennoch: Aus dieser Sicht und mit diesem Anspruch kamen wir zur Architektur. Was ist für die Gesellschaft relevant? Das verschiebt sich natürlich. Was mal vor 20 Jahren modern war, ist es jetzt nicht mehr, das liegt in der Natur des Begriffs. Zu gucken, in welche Richtung sich die Gesellschaft entwickelt und was wir dazu beitragen können, das ist der Impetus von 3deluxe.

Neben gewissen Rahmenbedingungen in der Baubranche gibt es auch die großen Entwicklungen wie etwa den Klimawandel, die Digitalisierung und zunehmende Urbanisierung sowie daraus folgend die Frage, wie wir in Zukunft eigentlich leben wollen und können. Als Architekten, als Gestalter, als Designer – welche Rolle können, müssen und wollen Sie dabei einnehmen? 

 

In den letzten Jahren hat sich die Rolle des Architekten sehr verändert – sollte sie auch. Es geht heute nicht mehr nur um Materialien und Statik. Denn alle Herausforderungen, die sich derzeit global auftürmen, schlagen sich in den Städten nieder – ob es die Klimaproblematik ist, die Verkehrsproblematik, die schlechte Luft, die Gesundheit der Menschen oder auch soziale Themen wie Migration. Während früher die Funktion des Gebäudes und seine Integration in die Umgebung im Fokus standen, ist es heute eine Fülle an Aufgaben, die in alle gesellschaftlich relevanten Themen greift. Das fängt an mit Biodiversität, also damit, Natur in die Stadt zu bringen; über Recyclingthemen, die Minimierung des CO2-Fußabdrucks, bis hin zu sozialen Komponenten. Als Developer oder Bauträger sollte man nicht mehr nur für sich selbst und die Mieter bauen, sondern auch eine gewisse Verantwortung für die Nachbarschaft, für das Quartier, für die Stadt, für die Natur und – wenn man es weiterdenkt – für die Entwicklung des Planeten übernehmen. Dieses Gesamtbild muss bei jedem Bauvorhaben gesehen werden. Unsere Aufgabe als Architekten ist daher auch, die richtigen Fachleute zusammenzustellen und sie zu moderieren. 
 

Die Rolle des Architekten bekommt auf einmal eine Relevanz, die sie so noch nie hatte. Architektur erhält eine ganz andere Dimension – genau das macht sie für mich derzeit auch so spannend. Hat sich damit einhergehend die Haltung der öffentlichen Hand ebenfalls verändert? Notwendigen pragmatischen Lösungen stehen noch immer viele Regularien im Weg. Nach meinem Empfinden wird das zwar auch erkannt. Aber bis sich tatsächlich etwas ändert, ist es in Deutschland ein langer Weg. Viele Regularien haben ja einen Hintergrund, der eigentlich richtig ist. Es geht darum, Ausgleich zu schaffen oder sicherzustellen, dass private Investoren bestimmte Dinge unterlassen, weil sie nicht im allgemeinen Interesse sind. 


Nur merken wir, dass wir derzeit nicht so richtig vom Fleck kommen. Das Thema ist ja ganz klar: Die Bauindustrie ist für 30 bis 40 % des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Hier muss also wirklich schnell gehandelt werden.

Sie sagten vorhin, dass früher die Funktion und die Integration eines Gebäudes in die Umgebung die wesentliche Stoßrichtung bei der Planung waren. Die Umgebung bestand aber wiederum eigentlich nur aus anderen Gebäuden – aber nicht dem Raum. Wenn wir über die Transformation von Städten sprechen, kann es eigentlich nur an den Freiraum gehen, von dem es gar nicht so viel gibt. In diesem Kontext haben Sie mit Ihren Designstudien, z.B. zur Umwandlung des New Yorker Times Square oder zur Berliner Friedrichstraße, Veränderungen aufgezeigt, die – wie wir es aktuell erneut am Beispiel der Friedrichstraße erleben – durchaus heftige Diskussionen auslösen können. Wie bewerten Sie das? 

 

Sie sagen es ja richtig, diese im Moment vielbeschworene Transformation der Städte – das widerspricht sich ja gewissermaßen. Diese Städte bzw. Bauwerke sollen im besten Fall über 100 Jahre halten, wenn man es richtig macht. Eine schnelle Transformation kann gar nicht erfolgen. Deshalb wollten wir uns das Thema Straße anschauen, also den öffentlichen Raum, weil dieser am gestaltbarsten ist. Hier werden in 30 Jahren die deutlichsten Veränderungen zu sehen sein. Deshalb haben wir diese Studien gemacht. Mit der Reduzierung des Autoverkehrs ist ein schöner Weg dafür geebnet, um an öffentlichen Raum heranzukommen und diesen neu zu denken. Als Automobil-produzierendes Land ist das ein anderes Thema als in Ländern ohne diesen Wirtschaftsfaktor. Uns ist also klar, dass es nicht so leicht vonstatten gehen wird – sondern wahrscheinlich eher zwei Schritte vor, einen zurück. 

 

In Berlin ist dies aktuell das normale Prozedere. Wenn man aber solche Transformationen halbherzig macht – also bloß ein paar Blumenkübel hinstellt, alle Markierungen umpinselt und die Autos einfach durch Fahrräder ersetzt – die in Berlin ähnlich gefährlich sind wie die Autos – dann kommt das natürlich nicht so gut an. Man muss die Entwicklung des in der Stadt extrem wertvollen Raums zwischen den Gebäuden analog zur Gebäudeerstellung sehen. Jede Straße hat letztendlich ihre eigenen Anforderungen. Die Friedrichstraße ist nie zu dem Magneten geworden, der sie werden sollte. Daher muss man einen Mehrwert über Dekoratives hinaus schaffen.  Wir haben in der Studie eine relativ extreme und auch farbige Gestaltung angelegt, z.B. als touristischen Anziehungspunkt. Das ist ein bisschen überzogen, aber man muss die Friedrichstraße in die Kategorie eines besonderen Ortes denken. Wenn eine architektonische Bedeutung nicht gegeben ist, muss man versuchen, genau diese zu schaffen, anstatt nur Standards zu erfüllen. 

 
Inwieweit unterscheiden sich die beiden Designstudien Friedrichstraße und Times Square? Welche Erkenntnisse haben Sie in diesem  Prozess gewonnen? 

 

Um mit dem Times Square anzufangen: Wir haben einen ikonografischen Platz gewählt, um darzustellen, wie der Ort aktuell aussieht und wie er aussehen könnte. Yellow Cabs und viele Leute: Das ist der Inbegriff dessen, wie man sich eine Stadt vorstellt. Die leere Fußgängerzone ist es hingehen nicht. Um diese Lebendigkeit zu erhalten, muss man in die Gestaltung des Platzes auch die Mobilität miteinbeziehen, sodass dort nicht nur Fußgänger sind, sondern auch zusätzlich etwas angeboten wird, was übrigens für die Friedrichstraße noch mehr als für den Times Square gilt. Ganz zentral ist die Frage, wie Mikromobilität und Fußgänger gut zusammenkommen. Hierbei muss man die Geschwindigkeiten an den Fußgänger anpassen – und zwar stärker, als bisher angenommen. Es wird daher Infrastruktur geben, die nur für den Transfer vorgesehen ist, wo schnell gefahren wird. Denn auch künftig wird viel gefahren: Autos oder alles, was nach Autos kommt, gewährleisten in Städten die Versorgung. Aber: Es wird immer mehr Bereiche ohne diesen schnellen Verkehr geben. Hier muss die Mikromobilität in der Geschwindigkeit gedrosselt werden. Daher denke ich, dass das Geheimnis darin besteht, diesen neu freiwerdenden  Stadtraum so auszutarieren, dass er sich primär am Fußgänger als schwächstem Glied orientiert. Die stärkeren Komponenten sind nachrangig und so zu führen, dass alles wie eine Art Biotop funktionieren kann. Ich hoffe, dass solche Parameter in Ausschreibungen künftig einfließen werden. 

Wenn die Menschen die positiven Effekte von entsprechenden Umwandlungsmaßnahmen sehen können, dann macht es ja auch oft „Klick“. Welche Unterstützung können hierbei Architektur und Design leisten? 


Dies war einer der Motivatoren für unsere Designstudien. Als Gestalter ist es unsere Aufgabe, die Vorteile der Gestaltung unserer Umgebung entsprechend zu kommunizieren. Es gibt nun einmal eine große Skepsis gegenüber solchen Veränderungen. Daher muss man auch visuell veranschaulichen, dass es besser werden kann – und dass die Veränderung nicht Einschränkung oder Verlust bedeutet, sondern einen Zugewinn. 

 
In der litauischen Stadt Kaunas haben Sie mit 3deluxe das Projekt V-Plaza realisiert, das genau dies unter Beweis stellt. Die Fläche des neu gestalteten Platzes soll/kann dadurch, dass sie rollenfreundlich ist, die Mikromobilität fördern. 
 

Der Gebäudekomplex, den wir gemacht haben, setzte sich teilweise aus Neubauvorhaben, teilweise aus bestehenden älteren Gebäuden zusammen, die wir saniert haben. Die Stadt hatte die Immobilien und die Fläche dem Investor mit der Maßgabe verkauft, den öffentlichen Platz auf eigene Kosten herzurichten. An dem Projekt hing der Platz also zunächst nur als Zusatzaufgabe dran – wurde aber für uns das Spannendste. Denn dieser zahlte genau auf die aktuellen Themen im urbanen Raum ein. An diesem zentralen Platz haben irgendwann nur noch Autos geparkt. Er ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein zuvor Auto-dominierter Platz nun von Menschen belebt wird. Wir haben organische Landschaften integriert, die wie eine Art Skatepark funktionieren. Das animiert die Menschen dazu, mit ihren Fahrrädern oder Inlinern usw. hinzufahren. Wenn es Spaß macht, sich dort auf Rollen zu bewegen, dann haben wir schon viel erreicht. So kommen erstmals überhaupt wieder mehr Menschen auf den Platz, um einfach im Grünen zu sitzen, am Springbrunnen und in Cafés. Die Eröffnung fand mitten im Pandemie-Sommer 2020 statt, als alle raus wollten. Mir war vorher gar nicht bewusst, wie viele Leute in dieser Stadt auf Rollen unterwegs sind. Vollkommen unaufgefordert kamen sie an und haben diese Möglichkeit gleich erkannt. Das war toll. 

 
Wenn wir über das Bauen sprechen, besteht aktuell ein Konflikt zwischen Werten einerseits und dem drängenden Bedarf vor allem an Wohnraum andererseits. Wie lässt sich das auflösen? 
 

Meiner Ansicht nach besteht derzeit die große Gefahr, dass unter dem extremen Preisdruck ganz viel hässliches Zeug gebaut werden wird. Auf der anderen Seite gibt es einen kulturellen Anspruch, der nicht einfach verschwindet. Es kann nicht bloß noch um die nackte Existenz gehen. Wir müssen wirklich aufpassen, dass die Effizienzgetriebenheit uns nicht Bausünden beschert, für die in 20 Jahren keine Mieter zu finden sind – so wie derzeit für viele Bauten der 80er- und 90er-Jahre, die heute abgerissen werden. Diese Gebäude hatten einen viel zu kurzen Lebenszyklus. Nachhaltigkeit heißt auch, eine gewisse Qualität in der Ästhetik zu setzen, damit die Bauwerke auch unter diesem Aspekt langlebig sind. Ich hoffe,  dass hierbei die öffentliche Hand im Zweifelsfall auch in die Förderung geht und das Thema nicht nur dem freien Markt überlässt. Vielen Dank für das bereichernde Gespräch.

 

 

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erschienen in polisMobility Data // April 2023

About 3deluxe
  • 3deluxe vereint als Designbüro mit Hauptsitz in Wiesbaden rund 40 Kreative aus den Sparten Architektur, Innenarchitektur und Brand Design unter einem Dach. 

    Die vielschichtigen Projekte finden weltweite Beachtung. Aktuell realisiert das Büro Projekte in Deutschland, USA und Dubai, Litauen, Finnland und Italien.
     
  • Fotos & Illustrationen – Urheberrecht © 2022 3deluxe.
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